Gedenktag 8. November für die Opfer erzwungener Zweigeschlechtlichkeit // Intersex Day of Solidarity oder Intersex Day of Remembrance


Im Gespräch mit Doro* Giesche - von Rüden, Ansprechpartnerin im Bremer Raum für erwachsene intersexuelle Menschen

Der 8. November ist seit 2005 ein Gedenktag für intersexuelle bzw. intergeschlechtliche Menschen. “Es ist ein Tag, an dem wir an den Kampf um die Menschenrechte für Inter*Personen erinnern“, sagt Doro* Giesche - von Rüden von der Inter*Beratung Bremen. “Wir setzen uns dafür ein, dass intergeschlechtliche Menschen so anerkannt werden, wie wir sind, dass wir geschützt und respektiert werden.”

Kein Gesetz hilft bislang gegen die extrem hohe Selbstmordrate bis zu 40%

Seit 2018 gibt es für Menschen mit einer “nachgewiesenen Variante der Geschlechtsentwicklung” den Personenstand Divers, außerdem kann seit 2013 im Personenstandregister das Geschlecht ungenannt bleiben. Aber diese gesetzlichen Änderungen genügen nicht: “Noch immer werden intergeschlechtliche Kinder in der Schule oder beim Sport gemobbt. Noch immer sind Menschen Herabsetzungen und Spott ausgesetzt, wenn sie keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale haben, wie etwa bei einer Kombination aus Bart und Brust.” Grund hierfür sei das überkommene Zwei-Geschlechter-System. Die Selbstmordrate bei trans- und intergeschlechtlichen Menschen liegt bei bis zu 40%.

Menschenverachtende medizinische Eingriffe

Medizinische Eingriffe und Operationen seien nichts anderes als ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von gesunden Kindern und Jugendlichen. Wir setzen uns dafür ein, dass jene Mediziner*innen Wiedergutmachung leisten und Entschädigung bezahlen sollen, die an der Verstümmelung von Babys und Kindern mitgewirkt haben und dadurch sogar medizinische Reputation gewonnen haben.” Diese menschenrechtsverletzenden Erfahrungen gingen mit sich jährlich wiederholenden Krankenhausaufenthalten einher, neuen Operationen zur Vaginavergrößerung, medizinischer Vergewaltigung, dem Angeglotztwerden von studentischen Heerscharen. Diese Operationen sind zwar seit Mai 2021 endlich verboten, “aber es gibt noch immer Schlupflöcher.”

Inter*Personen sind nicht krank!

Doro* Giesche - von Rüden wird von ihrer Außenwelt mit ihren grauen Haaren und einer eher weiblichen Stimme als ältere Frau gelesen. “Aber ich bin nicht binär, weder weiblich, noch männlich.” In ihrem Fall ist es eine hormonelle Besonderheit, die sie zu einem begehrten medizinischen Forschungsobjekt macht. “Inter*Personen sollen sich nicht als Abweichung wahrnehmen müssen, sie sind nicht krank!” Doro* ist erwachsen und kann diese Objektivierung ablehnen. Jedoch für Eltern von intergeschlechtlichen Babys und für viele Inter*-Erwachsene ist diese innere Freiheit und das Selbstbewusstsein zur Identität außerhalb von der gesellschaftlich erzwungenen Zweigeschlechtlichkeit nicht selbstverständlich.

Inter*Personen in der Queeren Community

“Die” queere Community gibt es nicht. Sie ist ein amorphes Gebilde aus Menschen, die sich aktiv entscheiden, sich zugehörig zu fühlen. Eines ihrer gemeinsamen Ziele ist es, Toleranz einzufordern und dass sich wegen des Geschlechts und der sexuellen Identität niemand mehr schämen muss. Ich bin queer, heißt heute nicht mehr automatisch, ich bin homosexuell. Es gibt keine allgemeingültige Definition für queer. Ein gemeinsamer Nenner ist möglicherweise das Leid, die Angst vor dem Ausgestoßen sein, die Diskriminierung, die erlittene Gewalt und der jeweilige Kampf um Anerkennung.

Doro* Giesche - von Rüden von der Inter*Beratung Bremen. Bild: CSD Bremerhaven
Doro* Giesche - von Rüden von der Inter*Beratung Bremen. Bild: CSD Bremerhaven

Beratung und Coming-Out-Begleitung

Doro* ist Ansprechpartnerin für erwachsene Inter*-Personen im Bremer Raum. Zusammen mit dem Verein Transrecht e.V. aus Bremen bietet sie eine Beratung zu allen Fragen der Geschlechtlichkeit und bei Bedarf eine Coming-Out-Begleitung: Inter*Beratung Bremen. Die Beratungsstelle hat ihr Angebot mit einen Infostand auf dem Kundgebungsplatz Zollinlandsplatz beim ersten Bremerhavener CSD im Juli’22 vorgestellt und außerdem auf der Bühne zu inter*politischen Forderungen Stellung genommen. Doro* und ihre Kollegin vergeben auch außerhalb der Öffnungszeiten Termine. Sogar ein virtuelles Gespräch über z.B. Zoom ist möglich. Das ist dann im Übrigen das einzige Angebot für Interessent*innen aus Bremerhaven zu diesem Thema.

Keinerlei Beratungs-& Informationsangebot zu Intersexualität in Bremerhaven!

Für Bremerhaven fehlt mal wieder das Geld aus dem Land Bremen. Zwar gibt es ein minimales Stundenkontigent des Trägervereins Transrecht e.V., das aus den Mitteln der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport gefördert wird. Doch eine eigenständige Inter*Beratung in Bremerhaven gibt es nicht. Ein Defizit, das dringend ausgeglichen werden muss!!!

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Geschrieben von:
Sonja Höstermann

Sonja Höstermann

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